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Die ursprüngliche Fassung der nachfolgenden Texte erschien 2003 als Serie im Starkenburger Echo.

 

Das Rathaus – Mehr als nur ein Verwaltungsgebäude

 

Historische Rathäuser sind unpraktisch. Mitten in der Stadt gelegen, wo Parkplätze knapp sind; oft ohne Fahrstuhl und deshalb nicht barrierefrei; unzureichend gedämmt und damit Energie verschwendend; ohne die in Neubauten üblichen Installationen für die modernen Kommunikationstechniken usw. Da hat ein modernes Bürogebäude viele Vorzüge. Aber Vorzüge hin oder her, ein Rathaus ist mehr als irgendein Verwaltungsbau. Und sollte das auch sein. Mit prachtvollen Fassaden, mit Erkern und Türmchen zeigen die Rathäuser vieler Städte seit Jahrhunderten Stolz und Selbstbewusstsein der Bürgerschaft. Das Heppenheimer Rathaus, dessen steinernes Erdgeschoss aus dem Jahr 1551 stammt, ist dafür ein gutes Beispiel. Und wie in anderen Städten auch folgten Größe und Gestalt des Hauses den repräsentativen Bedürfnissen des Rates, nicht etwa dem Platzbedarf einer dessen Beschlüsse vollziehenden Verwaltung (die es im heutigen Sinn noch nicht gab).

 

In einem Rathaus befand sich, was für die Stadt besonders wichtig war: Der Sitzungssaal des Rates und das Archiv. Die Wichtigkeit des Rates als des Gremiums städtischer Selbstverwaltung versteht sich (vor allem für Kommunalpolitiker) von selbst. Aber die Erwähnung des Archivs ist auch nicht als humoristische Einlage gedacht. Wie der Rat gewählt wurde, welche Befugnisse er hatte, wie oft und zu welchen Terminen Märkte abgehalten werden durften – das alles war urkundlich festgehalten, und diese Nachweise vom Landesherrn verliehener städtischer Privilegien wurden im Archiv aufbewahrt. Es ging dabei also nicht um Geschichtsschreibung, es ging um Rechtstitel, letztlich auch um Macht und Geld. Womit die Wichtigkeit der Einrichtung ausreichend erklärt sein dürfte.

 

Noch Ende des 19. Jahrhunderts gab es so viel ungenutzten Platz im Rathaus, dass die Stadt der Kreisverwaltung Räume überlassen konnte. Im Erdgeschoss befand sich damals die Polizeiwache, bestehend aus einer Stube und einer Arrestzelle. Im ersten Obergeschoss waren außer dem Saal noch das Bürgermeister-Zimmer mit einer Nebenstube, die Schreibstube und die Registratur zu finden. Ein Stockwerk höher lagen direkt über dem Saal die drei der Kreisverwaltung überlassenen Zimmer. Hier residierten der Kreisbauinspektor und der Straßenmeister, das dritte Zimmer beherbergte deren Registratur. Zu dem geringen Platzbedarf der Verwaltung trug bei, dass die damals ehrenamtlich tätigen Bürgermeister einen erheblichen Teil ihrer Amtsgeschäfte zu Hause erledigten (wofür sie eine nicht geringe Entschädigung bekamen). Nicht viel anders stand es mit dem neuen Stadtbaumeister Jakob Maier, dessen umfangreiche Tätigkeit sich gleichfalls nicht in entsprechendem Bedarf an Dienstzimmern im Rathaus niederschlug.

 

Dieser eher ins 19. als ins 20. Jahrhundert passende Zustand fand erst ein Ende, als sich Heppenheim 1925 einen hauptamtlichen Bürgermeister gönnte. Das war reichlich spät. In der Nachbarstadt Bensheim beispielsweise gab es seit 1902 einen Berufsbürgermeister. Ob eine professionellere Verwaltungsführung trotz höherer Aufwendungen für den Bürgermeister nicht rentierlicher gewesen wäre, ist da keine abwegige Frage. Unter Bürgermeister Schiffers jedenfalls wuchs mit der Professionalität auch der Platzbedarf der Stadtverwaltung. Deshalb bekam in den Jahren 1927 bis 1929 das Rathaus einen etwa 15 Meter langen südlichen Anbau. Womit zunächst genug Platz geschaffen war für eine den gewachsenen Aufgaben entsprechende, größere Verwaltung.

 

Nicht allein der starke Bevölkerungszuwachs der 1940er und 50er Jahre war dafür verantwortlich, dass es kaum mehr als zwanzig Jahre nach der großzügigen Rathauserweiterung eng wurde in der Verwaltung. Die Nationalsozialisten waren bereits vor dem Krieg kreativ im Aufblähen bürokratischer Apparate gewesen. Mit der zunehmenden Mangelverwaltung, der staatlichen Organisation und Überwachung der Versorgung – von den Grundnahrungsmitteln über Bekleidung bis zum Wohnraum – bekamen die Städte zusätzliche Aufgaben, die nur mit zusätzlichem Personal zu bewältigen waren. Und da die Versorgungsmängel nicht mit dem Kriegsende verschwanden, konnte auch die Bürokratie nicht verringert werden. Neue Aufgaben kamen schneller dazu, als alte verschwanden. Die Verwaltung wuchs. Und die Klage über die unzureichende Unterbringung wurde zum regelmäßigen Bestandteil der städtischen Verwaltungsberichte.

 

Da hatte es gerade noch gefehlt, dass am 10. Juni 1958 das Rathaus durch einen Brand schwer beschädigt wurde. Nun wurden das Sozialamt und das Standesamt in den Amtshof ausquartiert, Polizeiverwaltung und Kripo ins Haus Koob (Großer Markt 6) und das Einwohnermeldeamt ins Haus Rückert (Großer Markt 4). Wenn im Rathaus schon das Dachgeschoss ohnehin komplett erneuert werden musste, nutzte man die Gelegenheit zum Ausbau für neue Büros. Nach Ende der Bauarbeiten standen dort etwa 130 Quadratmeter zusätzliche Bürofläche zur Verfügung. 1960 zogen Sozialamt und Meldeamt zunächst wieder ins Rathaus, wurden aber schon im Jahr darauf ins Seitengebäude der Liebig-Apotheke (Großer Markt 5) verlegt. Nicht viel besser ging es dem Standesamt, das 1962 in die frühere Töchterschule am Laudenbacher Tor umziehen musste, 1963 ins alte Finanzamtsgebäude Graf-von-Galen-Straße 12, dann folgten Ludwigstraße 13, Laudenbacher Tor 6, Amtsgasse 5, Ernst-Ludwig-Straße 7 und jetzt Gräffstraße 7-9.

 

Besonders in den 60er Jahren folgte Umzug auf Umzug. Es gab immer wieder Provisorien, und immer erneut war am Horizont eine Lösung der Platzprobleme erkennbar, die sich dann irgendwann als Fata Morgana erwies: Mal war es das alte Sparkassengebäude am Laudenbacher Tor, in das man zukünftig einziehen wollte, mal das frühere Kreiswehrersatzamt in der Kettelerstraße, dann erneut am Laudenbacher Tor das Haus Panther oder in der Walther-Rathenau-Straße das frühere Sparkassengebäude. Der ruhende Pol in dieser andauernden Verwaltungswanderung blieb das Rathaus, wo man immerhin sicher sein konnte, Bürgermeister, Ersten Stadtrat und das Stadtverordnetenbüro zu finden. Und das wird gewiss auch so bleiben.

 

 

 

 

Vom Finanzamt zur Stadtbücherei

 

Im Jahr 1906 erbaute das Großherzogtum Hessen ein Finanzamt in Heppenheims neuem Kaiserstraßen-Viertel. Genau genommen war es ein Steuerkommissariat, denn erst Ende 1908 wurde in Hessen die Bezeichnung Finanzamt eingeführt. In unmittelbarer Nachbarschaft der Villen wohlhabender Neubürger siedelte man diese Behörde an, und dem Umfeld entsprechend ist das Äußere des Gebäudes sicher nicht ganz den Vorstellungen des Bundes der Steuerzahler verpflichtet (- aber der wurde auch erst 43 Jahre später gegründet). Den Stil des Bauwerks beschreiben die Denkmalpfleger als „gemäßigten wilhelminischen Barock“. Dazu gehört vor allem viel Stuck, und wenn schon das Großherzogtum Hessen bezahlte, musste auch der Löwe an die Giebelwand. Auch die Ornamente auf den Fensterläden und farbigen Gläser in den Treppenhausfenstern haben mit heutigen Vorstellungen von Bürobauten wenig zu tun. Mit gutem Grund.

 

Denn die Diensträume des Finanzamts beanspruchten zunächst keineswegs das ganze Gebäude. Im Erdgeschoss befanden sich vorn die Amtsräume mit dem Zimmer des Steuerkommissärs, einem erheblich kleineren Zimmer für einen Assessor, der 29 Quadratmeter großen Schreibstube und der Registratur. Zum Garten hin lagen zwei Zimmer und eine Küche, und das Obergeschoss gliederte sich nach einem Plan von 1909 in drei Schlaf- und ein Fremdenzimmer, Küche, Bad, WC sowie zwei Kammern. Was die Frage aufwirft, warum das Finanzamt so wenig Büroraum beanspruchte, und das in Zeiten, da den Beamten noch keine Computer die Arbeit erleichterten; allerdings auch noch kein hochkompliziertes Besteuerungssystem viel Arbeit bereitete.

 

Das Großherzogtum Hessen war kein Steuerparadies und hatte mit der Einführung einer allgemeinen Einkommensteuer im Jahr 1869 sogar zu den Vorreitern unter den deutschen Staaten gehört. Die Veranlagung war aber relativ unkompliziert. Bei Personen mit einem Jahreseinkommen unter 2600 Mark wurde in der Regel von der Steuerkommission das ungefähre Einkommen geschätzt und demnach die Steuer bestimmt. Ein Heppenheimer Polizeidiener zum Beispiel hatte bei einem Jahreseinkommen von 900 Mark ganze 9 Mark Einkommensteuer zu zahlen, also ein Prozent. Stadtbaumeister Jakob Maier lag mit 2700 Mark Gehalt von der Stadt (und wahrscheinlich weiteren Einnahmen) oberhalb der Grenze, ab der eine Steuererklärung erforderlich wurde. Da er sicher auch etliche Kosten abzusetzen hatte, gab es für das Finanzamt etwas mehr zu tun. Aber die Zahl der Besserverdienenden war in Heppenheim sehr überschaubar. Übrigens lag der Spitzensteuersatz der hessischen Einkommensteuer bei 5 Prozent, jener der Vermögenssteuer bei 0,055 Prozent - was lautstarkes Klagen ob dieser furchtbaren Belastung nicht ausschloss. Mit dem Reichseinkommensteuergesetz von 1920 verschwanden diese Überreste steuerpolitischer Kleinstaaterei. Arbeitnehmer zahlten nun Lohnsteuer, die direkt durch Abzug vom Entgelt erhoben wurde. Das sparte der Behörde Arbeit, zumal es bis 1948 keinen Jahresausgleich gab.

 

Als die städtischen Gremien im November 1962 beschlossen, das Gebäude vom Land Hessen zu erwerben und für den eigenen Bedarf instandzusetzen, waren nicht nur die idyllischen Zeiten des hessischen Einkommensteuergesetzes, sondern auch die des Heppenheimer Finanzamts lange vorbei. Nach der Veränderung der Finanzamtsbezirke und der Schließung des Heppenheimer Amtes war das Katasteramt in dem Haus untergebracht worden, bis für diese Behörde ein Neubau in der Karlstraße erstellt wurde. Nun wollte sich das Land von der Liegenschaft in der Graf-von-Galen-Straße trennen, der verlangte Kaufpreis lag bei 120 000 DM. Kein schlechtes Angebot für die Stadt und ihre ständig unter beengten Verhältnissen leidende Verwaltung. Ein interessantes Detail zur konjunkturellen Lage in diesen Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders enthüllen die Akten zur kurz danach vorgenommenen Renovierung des Gebäudes. Auf die öffentliche Ausschreibung der Malerarbeiten meldete sich kein einziger daran interessierter Handwerksbetrieb. Die Verwaltung nahm dann Verhandlungen mit einem Heppenheimer Unternehmen auf, das schließlich bereit war, die Arbeiten für 4600 DM auszuführen.

 

Nach der Renovierung zogen noch 1963 die Polizeiverwaltung inklusive Kripo, das Sozialamt und das Standesamt mit Friedhofsverwaltung in die neu hergerichteten Räume. Aber nicht für lange. In den Jahren 1965/66 verlegte man zunächst das Sozialamt in die Wilhelmstraße, dann das Standesamt ins frühere AOK-Gebäude Ludwigstraße 13. Polizeiverwaltung und Kripo kamen in die Waldstraße, und ins frühere Finanzamt zog als neuer Mieter die Firma Upjohn. Allerdings nur für ein Jahrzehnt. Dann bezog Upjohn einen Neubau im Gewerbegebiet Tiergartenstraße. In das frühere Finanzamt zog die (damals von Stadt und Kreis gemeinsam getragene) Kreisbücherei, die nach dem Ausstieg des Kreises im Jahr 1994 zur Stadtbücherei wurde.

 

So ist das frühere Finanzamt heute ein Denkmal mit hohem Gebrauchswert, genau wie das Rathaus. Nachdem zunächst viel für die Erhaltung und Modernisierung im Inneren des Hauses getan wurde, sorgte eine Fassadenrenovierung dafür, das Haus auch äußerlich wieder in alter Pracht strahlen zu lassen. Bis zum Blitzschutzmast auf dem Dach mit seinen Vergoldungen. Wer die für ein Meisterstück hält, liegt trotzdem falsch. Gesellenstück wäre richtig, abgeliefert von einem Mitarbeiter der Firma Steuernagel und Lampert aus Groß-Bieberau. Und das zum Wohlgefallen sicher auch des Heppenheimer Stadtkämmerers, der in schlechten Zeiten wie diesen gegen etwas Gold an städtischen Gebäuden nichts einzuwenden hat – wenn es, wie hier, die Stadt nichts kostet.

 

 

 

 

Ämter im Amtshof

 

Wer heute im Kurmainzer Amtshof nach einer Behörde sucht, findet viel Hof und wenig Amt. Das Museum der Kreisstadt ist dort zu finden, und bei dessen Besuch gewinnt man zwar viele Eindrücke von der Heppenheimer Geschichte, aber keine von gegenwärtiger Verwaltung. Und in Heppenheims prachtvollstem Saal, dem Kurfürstensaal mit seiner aus dem 14. Jahrhundert stammenden Freskenmalerei, tagt auch das höchste Organ der kommunalen Selbstverwaltung, die Stadtverordnetenversammlung. Deren Beschlüsse sind dann zwar „amtlich“, aber ein Amt ist auch da nicht angesiedelt. Das war im Amtshof aber nicht immer so. Bei den zahlreichen Versuchen, die über Jahrzehnte bestehende Raumknappheit der Stadtverwaltung zu beseitigen, spielte auch dieser historische Gebäudekomplex eine Rolle. Genauer gesagt: dessen neuester Teil, das „Burggrafenhaus“, und die Eulenburg.

 

Die Eulenburg war im 16. Jahrhundert als Marstall errichtet worden. Unten waren damals die Pferde untergebracht, und die Obergeschosse dienten als Scheune, weshalb manchmal auch die Bezeichnung Zehntscheuer für das Gebäude zu finden ist. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts diente das Erdgeschoss der Eulenburg als Spritzenhaus für die Feuerwehr. Eine angemessene Verwendung der lange Zeit verwahrlosten Räume in den drei oberen Stockwerken brachte erst die Einrichtung der Jugendherberge, die Ende der 20er Jahre auf Betreiben von Bürgermeister Karl Schiffers trotz Wirtschaftskrise und leerer Kassen von Stadt und Jugendherbergswerk in Angriff genommen wurde. Die Einweihung fand im Oktober 1930 statt.

 

Nachdem 1960 die Jugendherberge auf der Starkenburg eröffnet worden war, ließ sich das Ende der Jugendherberge Eulenburg absehen. Was für die Stadt als Eigentümerin des Hauses neue Möglichkeiten eröffnete. 1972 zogen Meldeamt und Verkehrsamt in die Eulenburg, während direkt nebenan Standesamt, Ordnungsamt und Sozialamt in neu gebaute Räume einziehen konnten. An dieser Stelle des Amtshofs hatte bis zur Zerstörung im Jahr 1693 das Burggrafenhaus gestanden, dessen Ruine 1805 auf Abbruch versteigert wurde. Die Stadt Heppenheim, seit 1840 Eigentümerin des Amtshofs, ließ später auf einem Teil des Geländes das Gefängnis errichten. Dieser unansehnliche, kleine Bau wurde 1950 abgerissen. Danach errichtete man zwischen Saalbau und Eulenburg zunächst ein eingeschossiges Feuerwehrgerätehaus, das 1972 in Fachwerkbauweise aufgestockt wurde. Wer heute das Museum besucht, wird sich nur mit viel Phantasie die frühere Aufteilung des Raums in einzelne Zimmer vorstellen können.

 

Mehr als ein weiteres Provisorium sollte die Unterbringung der genannten städtischen Ämter im Amtshof von Anfang an nicht sein. Bereits 1972 war daran gedacht, hier einmal das städtische Museum und das Archiv unterzubringen. Dass die Stadtverwaltung auf vier Standorte verteilt war, konnte nach Auffassung von Bürgermeister Wilhelm Metzendorf kein Dauerzustand bleiben. „Ein Betrieb könnte bei einer derartigen Situation nicht existieren“, heißt es im Magistratsbericht 1972. Eine Lösung des Problems war auch schon gefunden: „Im Flächennutzungsplan von 1970 ist bereits eine Vergrößerung des Rathauses nach Süden vorgesehen. Mit ihr wird man sich in den nächsten Jahren beschäftigen müssen.“ Der Magistrat habe im Juli 1972 „beschlossen, diese Sache jetzt anzugehen, einen Bebauungsplan für die Erweiterung zu erstellen und Mittel aus dem Investitionsfonds zu beantragen.“ Aus der vorgesehenen Rathauserweiterung wurde nichts.

 

Der Plan, im „Burggrafenhaus“ und der Eulenburg das Museum einzurichten, wurde in den 90er Jahren umgesetzt. Und im Erdgeschoss der Eulenburg, wo einst die Pferde standen und zuletzt allerlei Mobiliar, das jährlich nur für die neun Tage des Weinmarkts gebraucht wurde, richtete die Stadt einen attraktiven Veranstaltungsraum ein, benannt nach der ursprünglichen Funktion: Marstall.

 

 

 

Die Töchterschule

 

Zu den schon seit Jahrzehnten aus dem Stadtbild verschwundenen Gebäuden, an die sich viele ältere Heppenheimer trotzdem noch gut erinnern, gehört die früher an der Ecke Laudenbacher Tor und Gräffstraße stehende Töchterschule. Der vom Ende des 18. oder Anfang des 19. Jahrhunderts stammende Bau zeigte über einem massiven Untergeschoss zwar nur das schlichte, kunstlose Fachwerk der damaligen Zeit, wirkte aber durch seine Dimensionen und den hoch aufragenden Dachreiter trotzdem recht imposant.

 

1887 war die drei Jahre zuvor gegründete Höhere Mädchenschule (meist als „Töchterschule“ bezeichnet) mit ihren etwa 40 Schülerinnen in dieses Fachwerkhaus verlegt worden, das zuvor von der Höheren Bürgerschule (der späteren Realschule bzw. Oberrealschule) genutzt worden war und sich erst seit 1876 in städtischem Besitz befand. Ein halbes Jahrhundert lang, bis zur Auflösung der Mädchenschule im Jahr 1938, blieb dies die Funktion des Gebäudes, das deswegen auch in späteren Jahren noch als Töchterschule bezeichnet wurde. Bei dem in Heppenheim herrschenden Mangel an Unterrichtsräumen war es kein Wunder, dass nach der Mädchenschule noch bis 1953 Volks- und Berufsschulklassen dort unterrichtet wurden. Dabei waren Mängel vor allem an den sanitären Einrichtungen schon Mitte der 30er Jahre von der Schulkommission beklagt worden.

 

Nach dem Ende der schulischen Nutzung wurde 1954 der Schulsaal im ersten Stock zu Wohnräumen umgebaut. In das Erdgeschoss zogen kommunale und staatliche Dienststellen ein, darunter für einige Jahre die Staatskasse. Nachdem diese 1961 wieder ausgezogen war, richtete die Stadt dort Diensträume ein, in die 1962 für kurze Zeit Standesamt und Friedhofsverwaltung einzogen. Als Folge von Kauf und Renovierung des früheren Finanzamtsgebäudes in der Graf-von-Galen-Straße war es mit dieser Verwendung aber schnell vorbei: Die Stadt hatte nun bessere Räume zur Verfügung. Und direkt nebenan, wo noch das alte Realschulgebäude und die einst als Notkirche errichtete Stadthalle standen, sollte in einigen Jahren neu gebaut werden. Nach Einzug in die Neubauten des Starkenburggymnasiums im Jahr 1967 waren die alten Schulgebäude an der Gräffstraße verzichtbar. An ihrer Stelle sollte eine moderne Mittelpunktschule gebaut werden. Da bot es sich an, eine großflächige Lösung anzustreben und die frühere Töchterschule in die Planung einzubeziehen. Oder zumindest das Grundstück, denn an eine Einbeziehung des alten Hauses war nie gedacht. Ab 1966 stand das städtische Gebäude leer.

 

Als öffentlich der Abriss diskutiert wurde, gab es zahlreiche Stimmen, die für die Erhaltung der früheren Töchterschule sprachen. Der Heppenheimer Geschichtsverein plädierte 1968 dafür, dort ein stadtgeschichtliches Museum einzurichten (als Ergänzung zu dem im Amtshof bereits bestehenden Museum für Volkskunde), und auch Bürgermeister Wilhelm Metzendorf wies im Magistrat darauf hin, dass man für etwa 30.000 DM eine Instandsetzung bewerkstelligen könne. Wie sich bei einer Ortsbesichtigung gezeigt hatte, war der einzige wirklich baufällige Teil des Gebäudes das Türmchen auf dem Dach, während der Rest des Bauwerks zwar verwohnt war und altersschiefe Fußböden hatte, in der Struktur jedoch gesund erschien. Zudem war der Abriss nicht zwingend erforderlich, da auf diesem Teil des Geländes nur Hof und Parkplätze entstehen sollten.

 

Die Entscheidung fiel aber trotz aller Einwände für den Abriss. Städtebaulich war das vielleicht die bessere Lösung, denn ob das Nebeneinander von voluminösem Schulneubau und Töchterschule wirklich einen „reizvoller Kontrast“ geworden wäre, wie Heinrich Heß in seinem Plädoyer für den Erhalt des Hauses in der Südhessischen Post vom 18. Januar 1969 schrieb, erscheint fraglich. Der harmonischen Einpassung eines solchen Neubaus in die Umgebung setzten auch damals nicht nur vielerlei Normen und Vorschriften enge Grenzen. Ein eng bemessener Finanzrahmen war gleichfalls nicht geeignet, die Phantasie der Architekten zu beflügeln. Und eine anspruchsvolle Aufgabe wäre es schon gewesen.

 

 

 

 

Das frühere Schwesternwohnheim Ernst-Ludwig-Straße 7

Bescheidenheit wird längst nicht immer als Zier verstanden; eine Ausnahme gilt für öffentliche Verwaltungen. Die Rat suchenden Bürger, die das städtische Verwaltungsgebäude in der Ernst-Ludwig-Straße betraten, haben sich über sonderlichen dekorativen Aufwand jedenfalls nicht beschweren können. Aber ob schön oder nicht: Das Haus erfüllte seine Funktion. Und das war gar nicht so selbstverständlich, denn es war nicht als Bürohaus der Stadtverwaltung geplant gewesen.

 

Das Gebäude am Hang des Maibergs entstand in den Jahren 1963/64 als Schwesternwohnheim für das direkt unterhalb, am Laudenbacher Tor, gelegene städtische Krankenhaus. Es war sicher kein architektonisch herausragendes Bauwerk, was damals vom Bauamt entworfen wurde, aber gerade in der Zurückhaltung lag seine gestalterische Qualität. Immerhin war es nicht ganz einfach, auf diesem Hanggrundstück ein Haus mit 42 Zimmern und insgesamt 4500 Kubikmeter umbautem Raum zu realisieren, ohne damit den Charakter des Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Höhn’schen Villenviertels zu zerstören.

 

Und die inneren Werte des Wohnheims konnten sich in jedem Fall sehen lassen. Gut 17 Quadratmeter Zimmergröße entsprachen durchaus den Ansprüchen jener Zeit, auf den Fluren gab es Teeküchen, Wasch-, Bügel- und Trockenräume sowie Duschen, im Untergeschoss außerdem einen Gemeinschaftsraum. Die Zimmer bekamen Balkons (mit viel Sonnenschein dank Ausrichtung nach Südwesten), die am Flurende gelegenen Oberschwesternzimmer hatten jeweils separate Schlafnische und Bad.

 

Auch wenn schon kurze Zeit nach der Fertigstellung des Hauses neben der Krankenhausverwaltung auch andere Abteilungen der städtischen Administration dort untergebracht wurden (1966 vorübergehend die Polizeiverwaltung), begann die Umwandlung zum Bürogebäude richtig erst mit der Schließung des Krankenhauses. 123 Betten hatte diese Einrichtung am Ende ihrer hundertjährigen Geschichte, 102 Beschäftigte (davon 43 Krankenschwestern) sorgten zusammen mit den sieben Belegärzten für die stationäre medizinische Versorgung der Heppenheimer Bevölkerung. Nicht zuletzt wirtschaftliche Gesichtspunkte machten den Bau einer größeren Klinik erforderlich. Nach jahrelangen Diskussionen entstand Anfang der 80er Jahre endlich das Kreiskrankenhaus; womit die Stadt ihr Krankenhaus inklusive Schwesternwohnheim schließen konnte.

 

Kämmerei und Steueramt, Stadtkasse, Kultur- und Sportamt, Personalamt, Stadtwerke und Archiv zogen in das Haus Ernst-Ludwig-Straße 7, bei dem nach 20 Jahren auch einige Reparaturarbeiten fällig waren. 1984 wurde der Außenputz erneuert und das Flachdach saniert. Dass wieder einmal eine Sanierung fällig wäre, sahen 20 Jahre später die Besucher an den Zetteln, die das Betreten der Balkons wegen Absturzgefahr verbaten. Die Entscheidung war gefallen: Die durch Koch-Affäre und Hessentag 2004 finanziell schwer gebeutelte Kommune brauchte Geld; auch durch den Verkauf dieses Hauses. Und der Hinweis auf die angeblich marode Struktur des Bauwerks ließ Bedenken nicht aufkommen. Inzwischen hat der neue Eigentümer des Gebäudes dessen nördlichen Flügel abgerissen. Der südliche allerdings steht und wird weiterhin als Bürogebäude genutzt.