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Der nachstehende Aufsatz wurde zuerst unter dem Titel "Ein Heppenheimer Konflikt" in der Festschrift 100 Jahre "Dom der Bergstraße" St. Peter Heppenheim, Heppenheim 2004, veröffentlicht.

 

Evangelisches Gedenken auf einem katholischen Friedhof?

Ein Heppenheimer Konflikt Ende der 1920er Jahre

 

Als Heppenheim 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluss hessisch wurde, war es eine Stadt mit langer, katholisch geprägter Geschichte. Zwar hatten die Bewohner der Stadt zwischen Reformation und Ende des Dreißigjährigen Krieges den mehrfachen Wechsel von katholischer zu lutherischer und calvinistischer Konfession ertragen müssen, aber seither war der Ort wieder so katholisch gewesen wie das Land, in dem er lag. Doch mit der Auflösung des Kurfürstentums Mainz und der neuen Zugehörigkeit zum vorwiegend protestantischen Hessen-Darmstadt war diese Epoche endgültig vorbei. In den nun folgenden Jahrzehnten nahm langsam aber stetig die Zahl der hier lebenden Protestanten zu. Insbesondere unter den aus anderen Landesteilen nach Heppenheim versetzten Beamten, die bei der Kreisverwaltung oder an der 1866 eingerichteten „Landesirrenanstalt“ tätig waren, war der Anteil der Evangelischen naturgemäß groß. Aber auch unter den wohlhabenden Neubürgern, die sich um die Wende zum 20. Jahrhundert in den gerade entstehenden Villenvierteln niederließen, gab es Zuwachs zur erst 1901 gebildeten evangelischen Kirchengemeinde. Lag der Anteil der Evangelischen an der Heppenheimer Bevölkerung 1828 noch unter 2 Prozent, so war er bis zum Jahr 1900 auf 16,3 Prozent und 25 Jahre später auf knapp 21 Prozent angestiegen.

 

Wie sich das Zusammenleben von katholischer Mehrheit und evangelischer Minderheit im Alltag gestaltete, ist schwer rekonstruierbar. Zwar sind die damaligen Positionen der Kirchen bekannt (die sich nicht gerade durch eine Betonung des ökumenischen Gedankens auszeichneten), doch wie sehr prägte diese Haltung den Umgang mit dem Nachbarn anderer Konfession? Man liegt sicher nicht falsch, wenn man für die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eine größere Distanz zwischen Katholiken und Protestanten unterstellt. Die konfessionelle Zugehörigkeit spielte für den Einzelnen und seine soziale Stellung noch eine wichtigere Rolle als heute und wurde von anderen deutlicher wahrgenommen. Dazu trugen auch konfessionelle Vereine und Parteien bei, die es den Menschen ermöglichten, sich in der Freizeit weitgehend unter Angehörigen der gleichen Kirche zu bewegen, was auch bedeutet: die Begegnung mit anderen zu vermeiden.

 

Eine interessante Momentaufnahme des problematischen Verhältnisses ist dadurch überliefert, dass 1928 der Bürgermeister gebeten wurde, einen Konflikt zu schlichten. Es ging um den Wunsch der evangelischen Kirchengemeinde, am Totensonntag eine Gedenkfeier auf dem Friedhof abzuhalten. Der Friedhof gehörte aber der Pfarrei St. Peter. Was zu dieser Zeit nicht ungewöhnlich war: Erst nach und nach begann sich seit dem 19. Jahrhundert die Auffassung durchzusetzen, dass es keine ausschließliche Aufgabe der religiösen Gemeinschaften bleiben könne, für die Bestattung der Toten zu sorgen. Zunächst in größeren Städten entstanden neue, kommunale Friedhöfe, mit denen auch dem Umstand Rechnung getragen wurde, dass eine zunehmende Zahl von Menschen nicht konfessionell gebunden oder Mitglieder kleinerer religiöser Gemeinschaften waren, für die die Anlegung eigener Friedhöfe wenig sinnvoll erschien; vor allem dann, wenn auf eine intensivere Grabpflege Wert gelegt wurde (ein Problem, das bei den manchmal relativ weit vom Wohnsitz entfernten jüdischen Friedhöfen geringere Bedeutung gehabt hatte). Aber so weit war man in Heppenheim noch nicht. Hier gab es nur den einen, katholischen Friedhof, dessen Nutzung für eine evangelische Gedenkfeier 1927 durch das Bischöfliche Ordinariat in Mainz verweigert worden war.

 

Die Entscheidung der katholischen Kirchenbehörde löste bei den Heppenheimer Protestanten naturgemäß Verärgerung aus. Die Gemeinde „war nicht und ist nicht gewillt, auf ein Recht zu verzichten, das ihr vielleicht nicht formal-juristisch, aber umso gewisser moralisch zusteht“, wie Pfarrer Gustav Gottlieb Storck in der Gemeindechronik festhielt. Die evangelische Minorität fühlte sich freilich nicht nur an dieser Stelle herausgefordert. In den Jahren 1925 bis 1927 war am Bahnhof das Kloster errichtet worden und darin ein Altenheim, „in das man auch evangel. Leute einzuziehen veranlassen wollte. Nun ist solchen Bestrebungen ein für allemal ein Riegel vorgeschoben“, heißt es in der Gemeindechronik mit Blick auf das im neuen evangelischen Gemeindehaus eingerichtete Altenheim. Hier wird deutlich, wie stark auf evangelischer Seite das Bestreben war, in dem katholisch geprägten Umfeld Eigenständigkeit zu beweisen; und wie groß – für beide Seiten – die Gefahr, aus dem Streit um die Gedenkfeier auf dem Friedhof eine Grundsatzfrage von symbolischer Bedeutung zu machen.

 

Am 23. November 1928 leitete Pfarrer Storck ein im Auftrag seines Kirchenvorstands an den Kirchenvorstand von St. Peter verfasstes Schreiben dem Bürgermeister zu. „Trotz schwerster entgegenstehender Bedenken haben wir uns zu diesem ironischen Verhalten entschlossen und zunächst auf eine demonstrative Feier vor den Toren des Friedhofs, der auch unsere Toten beherbergt und von dem wir ausgerechnet am Totensonntag ausgeschlossen sein sollen, verzichtet“, heißt es in dem Begleitbrief. „Die Gemeinde hat trotz ihrer Brüskierung durch die Gegenseite im vorigen Jahr es auch in diesem Jahr noch einmal hingenommen, dass man ihr ein selbstverständliches Recht vorenthielt.“ Da man nicht nochmals „bittweise bei dem katholischen Kirchenvorstand“ vorstellig werden mochte, bat man den Bürgermeister um Vermittlung. Und der versagte sich diesem Wunsch nicht.

 

In seinem Brief an das Bischöfliche Ordinariat in Mainz vom 19. September 1929 erkannte Bürgermeister Karl Schiffers die von der Kirchenbehörde vertretene Rechtsauffassung an, räumte auch ein, „dass man bezweifeln kann, ob es angebracht ist, dass die evangl. Gemeinde bei dieser Rechtslage überhaupt den Antrag stellt“, kam dann aber zur „Ansicht, dass der evangl. Gemeinde, wenn sie natürlich, wie erwähnt, auch keinen Rechtsanspruch hat immerhin ein gewisses moralisches Recht auf Gestattung der Feier auf dem Friedhof, auf dem viele hunderte ihrer verstorbenen Gemeindeglieder ruhen, nicht abgesprochen werden kann und dass man seitens hoher kirchlicher Behörde, nachdem der Antrag nun einmal gestellt und wiederholt worden ist, dem Wunsch der evangl. Gemeinde [...] willfahren sollte.“ Er schlug vor, die Genehmigung solle, um kein Gewohnheitsrecht zu begründen, jeweils nur für einen konkreten Termin auf Antrag erteilt werden. „Ich gestatte mir noch zu bemerken, dass nicht nur der gesamte Stadtrat einschliesslich sämtlicher katholischer Mitglieder diesen Wunsch teilt, sondern dass auch alle Laien-Mitglieder des Kath. Kirchenvorstandes [...] ihre Meinung dahin geäussert haben, dass, wenn sich irgend wie die Möglichkeit bietet, der Wunsch der evangl. Gemeinde Berücksichtigung finden möchte.“ Zwischen den Laien herrschte vor Ort also Einvernehmen in dieser Frage. Geholfen hat das leider nicht.

 

In dem Antwortbrief vom 4. November 1929 sieht das Bischöfliche Ordinariat voraus, dass man ihm den „Vorwurf konfessioneller Friedensstörung“ machen werde. Der sei aber unberechtigt, da „niemals der den Frieden stören kann, der seinen Besitzstand gegen einen unberechtigten Anspruch verteidigt.“ Und ein solcher unberechtigter Anspruch sei in dem „Verlangen, daß wir als katholische Kirchenbehörde unsre Zustimmung zu einem Gottesdienst einer andersgläubigen Gemeinde auf dem katholischen Friedhof geben sollen“ zu sehen. Diese Zustimmung sei nicht möglich. Dass überhaupt die Bestattung von Protestanten auf dem katholischen Friedhof gestattet wurde, sei durch den Notfall des Fehlens einer anderen Begräbnisstätte verursacht worden. Dem habe der katholische Kirchenvorstand „in mehr hochherziger als kluger Weise“ Rechnung getragen. „Es geschah dies in einer Zeit, wo in der norddeutschen Diaspora grundsätzlich katholischen Geistlichen im Amt der Zutritt zu evangelischen Friedhöfen verwehrt war, so daß sie ihre Toten vor der Friedhofspforte einsegnen mußten.“ Sowohl der Stadt Heppenheim als auch der evangelischen Gemeinde seien viele Auslagen erspart geblieben. Zudem sei Zeit genug gewesen für die Schaffung eines evangelischen Friedhofs. Man möge das „dankbar anerkennen und nicht dem katholischen Pfarramt Heppenheim und der kirchlichen Oberbehörde durch unerfüllbare Forderungen Verlegenheiten bereiten. [...] Um aber zu zeigen, daß wir bis zu den Grenzen des Möglichen entgegenkommen wollen, erklären wir: Wir wollen nichts dagegen erinnern, wenn auf ordnungsgemäß gestellten Antrag das katholische Pfarramt Heppenheim gestattet, daß eine der Weihe des Ortes Rechnung tragende nicht-liturgische religiöse Feier mehr bürgerlichen Charakters stattfinde. Ausgeschlossen bleibt eine offizielle gottesdienstliche Feier unter Leitung des Geistlichen. Da bei einer Rede unter verschiedenen Gesichtspunkten leicht Schwierigkeiten entstehen können, bitten wir zu veranlassen, daß ein dahingehender Antrag nicht gestellt wird."

 

Mit Inhalt und Tonfall dieser Antwort konnte in Heppenheim keiner der Beteiligten zufrieden sein. Dass der katholische Kirchenvorstand mehr hochherzig als klug gehandelt habe, war ein sehr zweifelhaftes Kompliment, und was die Zumutungen, denen Katholiken früher in der norddeutschen Diaspora ausgesetzt waren, mit der aktuellen Heppenheimer Situation zu tun haben sollten, blieb das Geheimnis des Briefautors. Man hätte diese Entscheidung und ihre Begründung auch erheblich diplomatischer formulieren können. Aber das hatte man in Mainz nicht für nötig gehalten.

 

Bürgermeister Schiffers unterrichtete nun den evangelischen Kirchenvorstand vom Scheitern seiner Bemühungen. Pfarrer Bartholomäus Mischler erteilte dem evangelischen Kirchenvorstand die Genehmigung für die vom Bischöflichen Ordinariat gestattete nicht-liturgische Feier, bei der ein Geistlicher nicht als Redner mitwirken dürfe. Er bat darum, die Feier „an einer anderen Stelle des Friedhofes als an der für den kath. Armenseelengottesdienst vorbehaltenen Stelle zu halten.“ Ein Problem, das sich nun aber nicht mehr stellte. „Eine Totengedenkfeier, bei der unter anderem dem evang. Geistlichen eine Ansprache nicht gestattet wird, ist für die evang. Gemeinde selbstverständlich eine Unmöglichkeit“, hieß es in der Antwort.

 

Zum Jahresanfang 1929 hatte Pfarrer Storck in seiner Chronik festgehalten: „Als eine schöne Frucht der unschönen Differenz zwischen der evangel. und kathol. Gemeinde über die evang. Friedhofsfeier am Totensonntag [...] kann die Gründung des Gemeindeblattes bezeichnet werden, die im vergangenen Jahr vorgenommen wurde. Die unerfreuliche Haltung der Gegenseite in der Friedhofsfrage brachte es den Gliedern unserer eigenen Gemeinde wieder einmal besonders deutlich zum Bewußtsein, daß sie zusammengehören und diese Gunst der Stunde erbrachte für das Gemeindeblatt sofort eine Leserzahl von 300 Abonnenten.“ Aus späterer Sicht kann sicher auch das Bemühen der katholischen Laien (einschließlich Bürgermeister Karl Schiffers) um ein Entgegenkommen in diesem Konflikt zu den positiven Ergebnissen gerechnet werden - auch wenn es 1929 in Mainz ohne Erfolg blieb.

 

Quellen:

Abhalten nicht katholischer Gedenkfeiern auf dem Friedhof 1928-1930, Stadtarchiv Heppenheim, A 17/1

Chronik der Evangelischen Heilig-Geist-Kirchengemeinde 1928/1929 (Der Verfasser dankt Herrn Pfarrer Dirk Römer für die freundliche Überlassung einer auszugsweisen Kopie.)