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Der nachfolgende Aufsatz erschien zuerst am 28. August 2003 im Starkenburger Echo.

 



 

 

Ein Monument geht auf Reisen

 

Odenwälder Granit aus Sonderbach ist seit mehr als hundert Jahren gefragt, heute eher in sehr kleinteiliger Form, früher meist in Pflasterstein- bis Grabplattengröße. Doch so nützlich und unverwüstlich Granitsteine sind – viel Beachtung finden sie selten. Aber es gibt Ausnahmen. Wer einen Stein aus Sonderbach sehen will, der von einer Königin in feierlicher Zeremonie enthüllt wurde und seit 99 Jahren an ein großes Wasserbauprojekt des späten 19. Jahrhunderts erinnert, der muss schon ein paar Kilometer fahren. Nach Andel nämlich, an der Grenze der niederländischen Provinzen Noord Brabant und Gelderland.

Die Geschichte begann 1904, als die Granitwerke Loenholdt, Rüth & Co. den Auftrag übernahmen, der niederländischen Regierung einen großen Gedenkstein zu liefern. Ein von der Auftraggeberin entsandter Ingenieur wählte einen von sechs zur Auswahl stehenden Granitblöcken aus, der daraufhin zur Bearbeitung nach Heppenheim geschafft wurde. Dort besaß die Firma am Bahnhof einen Werkplatz. Der Transport eines etwa 25 Tonnen schweren Steins vom Steinbruch in den Lärchen bis zum Heppenheimer Bahnhof war 1904 keine geringe Herausforderung. Gezogen von acht geschmückten Pferden gelangte der Stein am 20. Juli 1904 um 5 Uhr nachmittags an seine Zwischenstation.[1]

 

Auf dem Werkplatz wurde aus dem Granitblock dann durch Bearbeitung ein Gedenkstein, und die Firma Loenholdt, Rüth & Co. ließ im Verordnungs- und Anzeigeblatt (dem damaligen Vorläufer des Echos) stolz mitteilen, dass noch bis 28. Juli 1904 die Besichtigung des Monuments in Heppenheim möglich sei. Die Inschrift besagt, dass am 18. August 1904 dieser Stein von Ihrer Majestät Königin Wilhelmina in Gegenwart Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen der Niederlande, Herzog von Mecklenburg, zum Gedenken an die Trennung von Maas und Waal enthüllt wurde. Dann wird noch die Grundlage des Wasserbauprojekts erwähnt: Gesetz vom 26. Januar 1883, (veröffentlicht im) Staatsblad No. 4. Umrahmt wird die Inschrift von zwei stilisierten Flüssen, deren Wellenlinien ein typisches Jugendstil-Ornament bilden.

Die Trennung von Maas und Waal. Das war tatsächlich ein Vorhaben, dessen Abschluss einen Besuch der Königin und einen großzügig dimensionierten Gedenkstein wert gewesen ist. Schon seit 1848 gab es Überlegungen, die Mündung der Maas, die bei Woudrichem in die Waal (den Hauptarm des Rheins) floss, in die Gegend von Dordrecht zu verlegen. Dadurch sollte den häufigen Hochwassern begegnet werden.[2]

 

Nachdem 1883 das Projekt beschlossen worden war, erfolgten in den Jahren 1888 bis 1904 die Bauarbeiten. Bei dem Ort Well beginnend wurde bis zum Hollands Diep ein 36 km langer Kanal gegraben, die Bergsche Maas. Ein sehr aufwändiges Projekt angesichts der technischen Möglichkeiten der damaligen Zeit (und deshalb auch, wie das bei Großprojekten schon früher üblich war, am Ende viel teurer als veranschlagt). Aus dem alten Flusslauf wurde durch Dammbauten die Afgedamde Maas, die durch einen Kanal bei Heusden mit der Bergsche Maas verbunden ist. Ein Abschlussdeich mit Schleuse (Wilhelminasluis) entstand bei Andel, und dorthin kam die damals nicht ganz 24 Jahre alte Königin Wilhelmina am 18. August 1904 per Schiff, um den Gedenkstein aus Sonderbacher Granit zu enthüllen.[3]

Dieser Gedenkstein bei Andel ist auch ein Denkmal für die Blütezeit der Odenwälder Granitindustrie. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde durch die Entwicklung der Bearbeitungstechnik und den Ausbau der Transportwege eine intensive Nutzung der hiesigen Granitvorkommen möglich. Und die Nachfrage stieg. Wurde auch für Grabdenkmäler meist der aus Schweden importierte schwarze Granit bevorzugt, fanden sich für den grauen (blauweißen) und rötlichen Odenwaldgranit zahlreiche andere Verwendungen, die vom Randstein für den Straßenbau bis eben zum Denkmal reichten, wobei der Stein in vielen Fällen aber nur für den Denkmalsockel Verwendung fand.[4]

 

Für das kleine Dorf Sonderbach brachte diese Entwicklung einen bemerkenswerten Aufschwung. Die Einwohnerzahl konnte sich zwischen 1873 und 1910 mehr als verdoppeln, von 148 auf 315.[5] Nicht nur aus Deutschland kamen Arbeitskräfte für die Steinindustrie hierher. Auch Fachkräfte aus Italien wurden gebraucht, um den rasanten Anstieg der Produktion zu gewährleisten. Ein Auftrag wie jener der niederländischen Regierung erforderte handwerkliche Meisterleistungen. Die können bis heute bestaunt werden.

Als das niederländische Wasserbauministerium 1909 ein Buch über das Projekt der Trennung von Maas und Waal herausgab, war auf dem reich verzierten Prachtband natürlich der Gedenkstein abgebildet, die Inschrift darauf mit goldenen Lettern.[6] Im Jahr 2002 wurde der Gedenkstein bei Andel um einige Meter versetzt, weil der Deich und die auf ihm verlaufende Straße verbreitert wurden. Wenn im kommenden Jahr in Noord Brabant „100 Jahre Bergsche Maas“ gefeiert wird, dürfte der Stein aus Sonderbach abermals besondere Beachtung finden.

Einer, der maßgeblich dazu beitragen wird, ist Tom van der Aalst, Leiter des Streekarchief (Bezirksarchiv) Land van Heusden en Altena, der anlässlich des Jubiläums ein Buch über 100 Jahre Bergsche Maas vorlegen wird. Seiner Initiative ist es auch zu verdanken, dass die in Heppenheim bislang nicht bekannten Fotos aus dem Jahr 1904, mit denen die wichtigsten Stationen des Gedenksteins vom Sonderbacher Steinbruch bis zur Aufstellung bei Andel dokumentiert wurden, jetzt auch dem hiesigen Archiv und Museum zur Verfügung stehen. Wer den Stein in natura sehen will, sollte sich dadurch von einem Besuch im schönen Noord Brabant (und insbesondere in der aufwändig restaurierten Festungsstadt Heusden) freilich nicht abhalten lassen.

 

 

 

[1] Verordnungs- und Anzeigeblatt für den Kreis Heppenheim, 21.7.1904 und 24.7.1904.

[2] Vgl. Heusden in de 20e eeuw. www.heusden.pvda.nl/archief-bva-hv-histr-20_eeuw.htm (5.7.2003)

[3] De afgedamde Maas. www.vierheerlijkheden.nl/afgedmaa.htm (5.7.2003)

[4] Philipp Schmitt: Die deutsche Granitindustrie in ihrer Entwicklung und derzeitigen wirtschaftlichen Lage. Diss.rer.pol. Heidelberg 1927, S. 24ff.

[5] Lothar Anft: Entwicklungslinien der Industrie der Steine und Erden: Die Odenwälder Natursteinindustrie. In: Christof Dipper (Hrsg.): Der Odenwald im Zeitalter der Industrialisierung. Darmstadt 2000, S. 125-163, hier S. 134.

[6] De scheiding van Maas en Waal onder verlegging van de uitmonding der Maas naar den Amer. Bewerkt door den ingenieur van de waterstaat M. C. E. Bongaerts. Uitgegeven door het Ministerie van Waterstaat 1909.