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1860ff:  Der Bau des Psychiatrischen Krankenhauses

 

Wenn ein Loch in der Erde groß genug ist, kann es zur Sehenswürdigkeit werden und unerwünschte Betrachter anlocken, die dann in Gefahr geraten, in die von anderen gegrabene Grube hineinzufallen. So war das jedenfalls im Sommer 1861 mit der Baugrube für das Psychiatrische Krankenhaus. Und weil man damals noch nicht wie heute eine ganze Großbaustelle unübersteigbar umzäunte, ließ der Bürgermeister öffentlich bekanntmachen, dass das Betreten der Baustelle verboten war.

Die Neugierigen waren freilich ein eher kleineres Problem, das Bürgermeister Gottfried Pirsch gerne in Kauf genommen haben dürfte. War doch der Bau der neuen „Landes-Irrenanstalt“ gerade in Heppenheim auch ein Erfolg seiner Amtsführung. Eine Klinik mit (zunächst) 250 Betten brachte Arbeitsplätze und Kaufkraft in die Stadt, und das ganz ohne den Lärm und Schmutz, mit dem Industrieanlagen der damaligen Zeit praktisch immer die Nachbarschaft belästigten. Unter den in Frage kommenden Städten herrschte im Vorfeld solcher Standortentscheidungen deshalb ein starker Wettbewerb.

Wie kam es dann, dass grade Heppenheim den Zuschlag erhielt? Wo doch, wie Peter Eller 1993 feststellte, Heppenheim „in der vorherigen Diskussion, die schon mehr als 20 Jahre andauerte, nicht erwähnt worden“ war?[1] Eine wichtige Rolle wird dabei dem aus einer Darmstädter Pfarrersfamilie stammenden Arzt Dr. Georg Ludwig zugekommen sein. Schon im Vorfeld der Entscheidung hatte sich der damalige Direktor des Landeshospitals Hofheim für den Bau einer neuen „Anstalt“ engagiert. Da er als aktives Mitglied des studentischen Corps Starkenburgia spätestens 1850 bei einer Festveranstaltung seiner Verbindung die Stadt kennengelernt hatte, wird ihm Heppenheims Eignung als Klinikstandort klar gewesen sein. Genaues weiß man dazu freilich nicht.

Heppenheim hatte aber nicht nur Vorzüge. Wie aus der im Stadtarchiv liegenden Akte hervorgeht, war ein Nachteil im Standortwettbewerb, an dem auch Dr. Ludwig nichts ändern konnte, die Höhe der Baulandpreise. Denn selbstverständlich waren die Grundstückseigentümer nicht gewillt, sich die Gelegenheit zu einem guten Geschäft entgehen zu lassen. Eine so große und dringliche Nachfrage gab es schließlich nicht alle Tage.

Das Land als Bauherr war natürlich daran interessiert, die eigenen Kosten so gering wie möglich zu halten. Blieb, um das Projekt für Heppenheim zu retten, also nur ein finanzielles Engagement der Stadt. Und zwar ein kräftiges. Am 28. Februar 1860, rechtzeitig bevor über den Standort der neuen Klinik entschieden wurde, beschloss deshalb der Gemeinderat, sich an den Kosten für den Grundstückserwerb mit 12.000 Gulden zu beteiligen. Das war eine enorme Summe und ein stattlicher Anteil der insgesamt etwa 30.000 Gulden betragenden Aufwendungen für den Geländekauf.

Eine Einigung mit den Grundstückseigentümern war trotzdem nicht möglich. Zu hoch waren deren Preisvorstellungen, weshalb eine Lokal-Kommission gebildet wurde, die den Wert der Grundstücke zu schätzen hatte. Und die dabei nicht allzu kleinlich verfuhr. Jedenfalls gaben sowohl der Kreisrat wie der Kreisbaumeister zu Protokoll, die von der Mehrheit beschlossenen Werte überhöht zu finden, denn diese lägen deutlich über den bei Verkäufen der vorangegangenen fünf Jahre erzielten Preisen.

Aber Bürgermeister Pirsch hatte längst ein anderes Problem: er musste zusehen, wie er die der Landeshospitalkasse zugesagten 12.000 Gulden beibrachte. Der erste Versuch ging dahin, das Geld von der Stadt Gernsheim zu leihen. Die hatte aber ihre Rücklagen inzwischen anderwärts angelegt. Aber wozu gab es die Sparkasse? Ein Kredit in der gewünschten Höhe war bei der Spar- und Leihkasse Heppenheim zu bekommen, Zinssatz: vier Prozent.

So konnte es dann mit dem Bau der „Landes-Irrenanstalt“ vorangehen: im Sommer 1860 begann man mit den Erdarbeiten, im Jahr darauf traten die Maurer in Aktion, und am 2. Januar 1866 war die feierliche Eröffnung. Georg Ludwig war bereits im vorangegangenen September zum Direktor des neuen Krankenhauses ernannt worden. Für die nächsten drei Jahrzehnte blieb er der Chef der „Anstalt“. Erst 1897 ging er im Alter von 71 Jahren in den Ruhestand. Ludwigs Nachfolger (und Schwiegersohn) Eberhard Bieberbach übernahm von ihm ein inzwischen auf 465 Betten ausgebautes Krankenhaus.

Gottfried Pirsch, dann schon 72 Jahre alt, war bei der Einweihung der Klinik nicht mehr Bürgermeister. Seine zweite Amtszeit hatte von 1853 bis 1863 gedauert, zusammen mit der ersten Amtsperiode von 1821 bis 1842 waren das 31 Jahre im Bürgermeisteramt. Und vielleicht war es ja kein Zufall, dass gerade in der Amtszeit eines früheren Apothekers in Heppenheim ein großes Landeskrankenhaus entstand. Gottfried Pirsch jedenfalls war mehr als nur der (wenig glückliche) Lehrherr des jungen Justus Liebig.

 

 



[1] Peter Eller: Die ältere Baugeschichte. In: Psychiatrie in Heppenheim. Streifzüge durch die Geschichte eines hessischen Krankenhauses 1866-1992, Hrsg. v. Landeswohlfahrtsverband Hessen, Kassel 1993, S. 26-35, hier S. 26